GTR Teil 4
von Habbo Knoch
Shimla – Geteilt: Stundenlang hat sich der überfüllte Zug im nordindischen Himalaya auf mehr als zweitausend Meter gequält. Nach Hunderten von Kurven, Brücken und Tunneln ist die frühere Sommerresidenz der britischen Krone erreicht. Inzwischen starten in Shimla sichere Rundreisen. Doch die Ruhe trügt. Wie Rom auf sieben Hügeln gebaut, hat auch diese Stadt so viele Verhandlungen wie Enttäuschte gesehen. Drei Abkommen schnitten im 20. Jahrhundert mit ihren „lines of control“ die stolzen Regionen Kaschmir und Tibet zurecht. Sie rissen Wunden in Staaten wie die häufigen Blitze in den bedrohlich dunklen Berghimmel. Drei Kriege brachten keinen Frieden. Indien und Pakistan legen ihre Lunten weiterhin unnachgiebig an das „Pulverfass“ Kaschmir. Dort zündeln lange geduldete Autonomie, willkürliche Teilungen, staatliche Unterdrückung und religiöse Konflikte. Auch nach mehr als 40.000 Toten allein in den letzten dreißig Jahren fliegen in der Hauptstadt Srinagar weiterhin „Stones of Fury“, wie das Magazin„Frontline“ titelt. Und nicht nur Steine.
GTR Teil 3
von Habbo Knoch
Kalkutta – Überfordert: Wer nicht fliegt, braucht für die zweihundertfünfzig Kilometer von Dhaka nach Kalkutta (Kolkata) gut einen Tag. Hier waren 1947 und 1971, als Indien und Bangladesh entstanden, Millionen auf der Flucht, zumeist Hindus. Bengalens Schmelztiegel Kalkutta litt als „sterbende Stadt“ und die Welt mit Mutter Theresa. Wie Blut hingegen schimmert ein anderes Wahrzeichen: das von Kolonialbauten gesäumte Bassin Lal Dighi. An dessen Rand bündelt eine sauber abgetrennte Hand wie zufällig die immer wieder aufbrechende Gewalt. Als spätes Erbe der britischen Herrschaft spukt auf den Straßen von Kalkutta ein besonderer Geist der politischen Revolte. Genau wie im von Armut gezeichneten Narkeldanga Distrikt, wo schon damals Zehntausende sehnsüchtig auf die Verkündung der neuen Freiheit warteten. Doch befreit sind hier nur die wenigsten – wie so viele Gestrandete und Heimatlose in einer Stadt, die seit langem auf ihren Aufbruch zu warten scheint.
Tiefe Einblicke in Krisenregionen entfalten sich in Gestalt bedruckter, perforierter Bildbahnen, die vielfältig angebracht, ausgelegt und genutzt werden können. Nicht das Einzelbild in Edelmatt liegt hier vor einem, sondern dichte, fein gewobene Reportagen als dokumentarische Erzählungen aus Fotografien, Bildern von Artefakten, Texten und Zitaten…
Prof. Dr. Habbo Knoch
Historisches Institut, Universität zu Köln
The World Must Act Now on Syria – an open letter
The United Nations says it has run out of words on Syria, but we, the undersigned, still have some for the governments, parliamentarians, electorates, and opinion leaders of the powers upon whom the international legal order has hitherto depended.
The world is a bystander to the carnage that has ravaged the lives of Syrians. All has happened in full view of a global audience that sees everything but refuses to act …
GTR Teil 2
von Habbo Knoch
Dhaka – Geladen: In den alten Gassen von Dhaka, Bangladeshs rasant wachender Slummetropole am Ufer des verseuchten Burigonga, leben Muslime, Hindus und Christen dicht an dicht zusammen. Hier vergeht kaum ein Tag ohne Provokation, Zerstörung und Mord. Religiöse, soziale und politische Motive bilden ein unauflösbares Knäuel. Der Hauptkonflikt: Bengalische Hindus werden seit dem Unabhängigkeitskrieg von 1971 als „Verräter“ diskriminiert. Ihre heutigen Gegner, gut vernetzte Islamisten, haben in Old Dhaka eine willkommene Basis gefunden. Zu Ramadan lassen sie hier mehr Korane drucken, als es Macheten in Ruanda während des Völkermords gab. Gandhis Ideale sind so weit weg wie die königliche Weisheit des verehrten Elefanten. Es ist wie in Hermann Melvilles Erzählung „Bartleby, der Schreiber“: Die Gründe für Bartleby, das Gebotene zu verweigern, liegen im Dunkeln. Aber alles steuert unaufhaltsam auf die nächste Eskalation zu.
FAZ.NET; 19.1.2018 – „Wahrhaftig sein, Auge in Auge“
Wolf Böwig ist Fotograf, Kriegsreporter, Weltreisender. Er hat die grausamsten Orte der Erde gesehen, aber auch ihre schönsten und geheimnisvollsten Winkel. In seinen Tagebüchern hingegen findet er zu sich …
Doppelseite für Schauspiel Hannover – Ausstellungen 2010 bis 2016
reporting violence
15.Februar bis 21.März 2010
KRIEG, grenzenloser Krieg!
20.März bis 16.April 2011
borders and beyond
16. Oktober bis 6.November 2016
Pedro Rosa Mendes on Wolf Böwig’s Photojournalism
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I strongly believe – having never discussed this much with him – that Wolf’s uniqueness derives from his photojournalism being a radical form of self-overcoming. He’s saved from nihilism albeit living a lifetime in close encounters with different forms of human bestiality. There is thus a quality of the superman who built „a power over oneself and over fate“, which has „penetrated to the profoundest depths and become instinct“ (On the Genealogy of Morals).
4.
T.E. Lawrence, whom we are both very fond of, sensed madness near, even if in the form of wisdom and alterity, as „it would be near to the man who could see things through the veils at once of two customs, two cultures, two environments“ (Seven Pillars of Wisdom).
Borderlines of all kinds, from mental to political to cultural, are central to Wolf’s account of the human nature we all inhabit and share. It is that inherent madness that he crudely displays, with layers of historical, political, emotional and linguistic complexity.
Throughout Wolf’s extensive body of work, human reality emerges as revelation, vary rarely as exposure, whereby each photographic moment captures the accumulation of references that define a sense of individual, collective and social identity – identity being that ultimate sovereign form of madness over one’s self.
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„
Kann man mit dem Magnificat regieren?
Über eines der politischsten Lieder, das je gesungen wurde
von Mathias Greffrath (NDR Kultur, Glaubenssachen 14.1.2018)
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Mit dem Magnificat Politik zu machen, das bewahrt nicht vor Verzweiflung. Aber wer mit dem Magnificat im Geiste Politik macht, der vertraut darauf, dass es durch die Jahrhunderte den Zusammenhang eines nomadischen und missionierenden Gottesvolkes gibt, das sich lange vor ihm auf den Weg gemacht hat und lange nach ihm weitermachen wird, das an die Prophezeiungen und an die Vorbilder glaubt, die Teil der Überlieferung sind. Maria glaubt. Das heißt: Sie lässt sich von der Tradition ergreifen, versteht sich als Teil einer Bewegung, die lange vor ihr begonnen hat, und die mit ihr nicht endet. Solcher Glaube trägt und er macht enttäuschungsfest. Wenn ich scheitere, heißt das nicht, dass ich unrecht hatte; wenn ich unterliege, unterliegt nicht die Wahrheit; wenn ich untergehe, werden andere weitermachen
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FAZ; 11.1.2018 – Wahrhaftig sein, Auge in Auge
GTR Teil 1
von Habbo Knoch
Kutupalong – Gestrandet: Unweit des offiziellen Kutupalong Flüchtlingslagers in Bangladesh steht am Naaf River, der Grenze zu Myanmar, eine Ruine, die sie „Brücke“ nennen. Was nach Hoffnung klingt, endet im Fluss und taugt nur als Anleger für illegale Boote, übervoll mit vertriebenen Rohingya vom anderen Ufer. Die Rechtlosen waren schon 2008 auf beiden Seiten nicht gewollt. Viele hausten unversorgt in wilden Lagern am Fluss. Namen von Toten sind wie Vorboten eines Völkermords in die Pfeiler geritzt. Der Ort macht die ganze Zerrissenheit des indischen Subkontinents deutlich. Schon Tagore ahnte das, als er Gandhi schrieb, die Idee der Gewaltlosigkeit garantiere keinen Frieden, wenn sie an die Macht komme. In Gandhis Ashram in Noakali, ein paar Stunden nordöstlich von Kutupalong, steht eine halbfertige Statue des Gründers. Doch statt ihn und seine Visionen ehren zu können, müssen dort immer mehr Flüchtlinge, Verarmte und Zerstrittene aus der Region versorgt werden.