the Universal Declaration of Human Rights – a requiem

Symposium | Darmstädter Tage der Fotografie |
Wolf Böwig | 25.04.2009 | 11.00Uhr

the Universal Declaration of Human Rights – a requiem
reporting violence

…zuunterst im Stapel internationaler Pakte nach Ende des zweiten Weltkriegs liegt ein aufrüttelndes Bekenntnis zur Freiheit und Gleichheit aller Menschen: die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Vor sechzig Jahren, am 10. Dezember 1948, wurde sie von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris verkündet.

Der französische Diplomat Stephane Hessel, Überlebender von Buchenwald, schreibt: „Wir saßen als Mitglieder des Sekretariats auf den hinteren Rängen. Als der Präsident die Abstimmung eröffnete, überkam uns ein beklemmendes Gefühl. Würde die UdSSR dagegen stimmen? Was würde Saudi-Arabien tun? Der Präsident verkündete 43 Stimmen dafür, 0 dagegen, 8 Enthaltungen. Vielleicht einer der bewegendsten Augenblicke meines Lebens. Gewiß einer der letzten Momente des Konsenses innerhalb der internationalen Gemeinschaft.“

Und heute? Es gibt ein alljährliches Register dieser Realität: die Jahresberichte von Amnesty International. Der Bericht vom Mai 2008 ist eine Ode der Tristesse und Verzweiflung; er liest sich wie eine Todesanzeige für die Menschenrechte: Vergewaltigung, Mord, Rechtlosigkeit und erschlagene Freiheit auf Hunderten von Seiten. Folter oder unmenschliche Behandlung in 81 Staaten, politische Haft in 45 Staaten, Hinrichtungen in 24 Ländern, 1250 Exekutionen sind verzeichnet.

Staaten haben Botschafter mit Schlips und Kragen. Die Menschenrechte haben auch Botschafter, nur kommen sie meist nicht so elegant daher – es sind die Flüchtlinge und Asylbewerber. Sie sind die Botschafter des Hungers, der Verfolgung, des Leids. Und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist ihre Depesche.

Es ist die Überzeugung, daß Menschen jenseits ihrer eigenen Existenzberechtigung anderen Menschen überlegen sind: Völkermord ist die Entbehrlichkeit des Anderen und die Legitimation für die Ausrottung. In letzter Konsequenz ist das Schweigen der Gipfel dieser Verneinung des Menschen: Der Angriff auf das Menschlichste im Fleisch des Menschen, die Worte. Das absolute Schweigen – das Abbrechen der Sprache – entspricht genau der Definition von Völkermord, einer Verschwörung zum Vergessen, mittels der Auferlegung der letzten Gewalt, jener, die in jedem Einzelnen die Erzählungen zu tilgen beabsichtigt, die sein Menschsein ausmachen und erweitern. Daher der Nachdruck, zu berichten, darauf zu beharren, über das hinauszuschauen, was uns gezeigt wird – oder gar die Grenze des Erzählbaren zu überwinden. Ich habe gelernt, daß die letzte Stufe der Gewalt die Zerstörung des Menschen im Sinne dieser Humanität ist. Die Skala des Schreckens wird nicht nur und auch nicht in erster Linie an der physischen Vernichtung gemessen – deshalb vereinigen sich bei einem Genozid letztlich alle Opfer in einem, dem letzten. Doch ist dieses der letzte überlebende Mensch, und sein Leiden ist das größte.

Zuerst auf dem Balkan, dann in Somalia, Ruanda und Afghanistan, vor allem aber in Liberia, Angola und dem Kongo war ich beruflich und menschlich mit der Schwierigkeit konfrontiert, ein die Gesellschaft als Ganzes betreffendes Trauma in Bilder fassen zu sollen. Ein Trauma, das jeden einzelnen zu einem Inseldasein verdammt, aus dem es keine Rettung gibt. Denn darum geht es: Um ein Archipel aus vielen und abervielen Menschen, die eingeschlossen sind in einem Moment, der irgendwo hinter ihnen liegt, der indes stets präsent ist, in dem der Bruch geschah und die Angst sich einrichtete. Nichts bereitet uns darauf vor, in der Leere, über die Leere, zu berichten. …die Vervielfachung der Brüche hat ein alptraumhaftes Ausmaß erreicht.

text: H.Prantl, P.R.Mendes
photo | montage: Wolf Böwig

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