25. Oktober 2016 um 18:30 Uhr | St. Michaeliskirche Hildesheim, Laudatio und Danksagung

Einladung (download pdf)

Kulturpreis Evangelische Landeskirche Hannover

WAHRNEHMEN. WÜRDIGEN. FÖRDERN.
INS GESPRÄCH BRINGEN

Kulturpreisträger: Wolf Böwig für seine Dokumentarfotografie von einzigartigem Zuschnitt und künstlerischem Anspruch, die zu einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit den Themen von Krieg, Gewalt und Flucht sowie besonders ihren Ursachen anregt

Laudatio und Danksagung anläßlich der Kulturpreisverleihung:

Laudatio

von Andreas Langen, Stuttgart

2016_Boewig_Kulturpreis

Sehr geehrter Herr Landesbischof Meister, sehr geehrte Preisträger, Juroren und Jurorinnen, verehrte Festgäste!

mit dem Werk des hier ausgezeichneten Fotografen und Medienmachers Wolf Böwig haben Sie es als Betrachter ganz leicht; und sehr schwer.
Leicht haben Sie es, weil es so ungemein eingängig ist; diese Bilder und Texte versteht man wirklich auf den ersten Blick.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Diese Zugänglichkeit geht nicht auf Kosten der Komplexität. Die Sachverhalte hinter der Form, die Wolf Böwig und seine Mitstreiter finden, sind so vertrackt, so heikel und widerborstig, wie irgendein medial zu bändigendes Material nur sein kann.
Damit sind wir beim Schweren, dass Ihnen, verehrtes Publikum, entgegentritt, wenn Sie sich diesen Bildern und Texten stellen. Damit ist nicht nur das offensichtliche Thema „Krieg“ gemeint. Es stecken noch einige unsichtbare Widerhaken in dem, was Black.Light bedeutet. Diese Haken befinden sich nicht auf der unmittelbaren medialen Ebene.
Wolf Böwigs Fotografie wurzelt im klassischen Selbstverständnis des engagierten Dokumentarfotografen. Er bildet ab, was er vorfindet, formal geschult am Anspruch einer Gründer- und Leitfigur des modernen Bildjournalismus, Henri Cartier-Bresson. Der hatte als Losung ausgegeben, es komme auf den „entscheidenden Augenblick“ an, wenn sich im chaotischen, nicht gesteuerten Geschehen der sichtbaren Realität die Dinge zu einer Komposition fügen; einer Komposition, die ein Beobachter mittels Kamera-Klick ausschneidet und bildfest macht. Wenn Sie die Fotografien von Wolf Böwig betrachten, sehen Sie die besondere Dynamik, die aus diesem Verfahren resultiert, in Form von Anschnitten, Überlagerungen, vielfach in der Bildtiefe gestaffelten Ebenen und Figuren.
Ich erwähne das so ausführlich, weil diese evidente Art der Fotografie vermeintlich kalter Kaffee ist. Cartier-Bresson hat seine Maxime in den 1940er Jahren formuliert. Seitdem wurde dieses Dogma vielfach gestutzt. Kritische Medientheorie, aber auch ganz andere Denkansätze wie Quantenmechanik und Bewusstseinsforschung postulieren, dass es sträflich naiv sei, von Realität einfach mal so auszugehen, geschweige, sie abbilden zu wollen. Gewohnheitsgemäß gilt uns zudem zeitgenössische, sprich: digitale Fotografie als von Haus aus manipuliert, und damit grundsätzlich unglaubwürdig.

Dazu kommt in jüngster Zeit eine brandgefährliche Verdummung des politischen Diskurses, deren ätzendster Ausdruck die Parole von der „Lügenpresse“ ist.  Wer die deutsche Medienlandschaft so diffamiert, bezeugt damit vor allem seine eigene, hochgradige Beschränktheit.
Denn gerade im internationalen Vergleich ist vieles von dem, was hierzulande tagtäglich an politischer Berichterstattung geleistet wird, hochkarätig und überaus solide. Dass Deutschland neben guten Printmedien ein breites Spektrum an öffentlich-rechtlichem TV und Radio hat, ist ein ähnlicher Glücksfall, und für eine demokratische, freie Gesellschaft absolut lebensnotwenig. Die Gefahr für unser Land geht nicht von den angeblich manipulativen Mainstream-Medien aus (so ein anderer beliebter Sprech der Neuen Rechten), sondern von den Medienverächtern, die wahrscheinlich noch keine Ausgabe der FAZ, der Süddeutschen, des Spiegel, der Frankfurter Rundschau, der Welt, der Zeit, des Cicero oder der taz komplett gelesen haben.

Es gibt aber noch eine andere, kaum sichtbare, und wahrscheinlich viel dramatischere Gefährdung dessen, was freie Medien für eine offene Gesellschaft leisten. Diese Gefahr hat ganz direkt mit der Entstehung von Black.Light zu tun. Wolf Böwig kam nämlich nicht auf den Gedanken, Illustration, Fotografie, Sprache und Ton miteinander zu kombinieren, weil er eine kreative Flause hatte und mal was Neues probieren wollte. Nein, es handelt sich vielmehr um einen Akt der Notwehr. Denn selbst die ganz großen Player unter den Printmedien, für die er jahrzehntelang erfolgreich gearbeitet hat – New York Times, Guardian, Le Monde, NZZ, The Independent u.a., haben angesichts schwindender Erlöse und Auflagen immer weniger Etats für Recherche und Reportage. Freischaffende politische Journalisten, ob schreibend oder fotografierend,  sind noch selten reich geworden durch ihre Arbeit. Seit Jahren aber sind selbst die genügsamen unter ihnen kaum noch in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Denn die Werbeeinnahmen der Printmedien versickern im Internet, zudem fallen die Auflagen, folglich stehen die Redaktionen unter enormem Kostendruck. Man kann durchaus für den Pulitzer-Preis nominiert sein, zur Untermiete wohnen, und das Telefon abgestellt bekommen, weil kein Geld mehr reinkommt. Das sind nicht nur die privaten Malessen von ein paar exotischen Schreibern und Fotografen. Diese Entwicklung amputiert unser aller Wahrnehmung, und zwar ohne dass wir es merken. Autoren wie Wolf Böwig können ihr Kerngeschäft, die gründliche Erkundung der Welt und das Berichterstatten davon, kaum noch betreiben, weil nur noch kümmerliche Zeitfensterchen finanzierbar sind. Wenn man, selbst mit noch so viel Routine, nur drei, vier Tage vor Ort sein kann, in einer fremden Kultur, unter den Bedingungen von Krieg und Krise, dann ist Essig mit großer Reportage-Kunst. Das also ist einer der Gründe, warum Böwig seine Ausdrucksmittel erweitert hat: Strukturwandel, sachlich gesprochen; man könnte auch sagen: die pure Not, bzw. die Hoffnung, mit Trickfilm in andere Märkte und Medien vorzustoßen, namentlich ins Fernsehen.

Zum Teil hat das bereits geklappt, einige Ausstrahlungen gab es. Für meine Begriffe ist der Medienmix in der filmartigen Form die stärkste Variante des Materials. Der Fachbegriff für die Umwandlung von Standbildern in bewegte Bilder lautet Animation, zu deutsch: Beseelung. Genau das passiert hier – ich kann es von diesem Pult aus nur umschreiben, erleben müssen Sie es selber, wie aus dem gedrucktem Text ein gesprochener wird, ergänzt von Musik und Original-Ton, während die Bilder vorbeigleiten. Die fotografischen Bilder sind eine Art faktisches Fundament, auf dem die gezeichneten, also metaphorischen, durch und durch subjektiven Bilder eine emotionale Kraft entwickeln; das dringt tief ins Gemüt! Die dokumentarischen Fotos und die Zeichnungen verhalten sich zueinander wie Wissenschaft und Poesie.
In einer Rede ist dieses Verhältnis besser illustrierbar mit einem textlichen Beispiel. – Der italienische Lyriker und Drehbauchautor Tonino Guerra leistete als junger Mann Zwangsarbeit in einem Nazi-Lager in Deutschland. Das ist historischer Fakt, und es ist ein korrekt formulierter Satz, präzise im wissenschaftlichen Sinn. Möchte man seinen Inhalt aber im Bewusstsein verankern, hilft die Poesie weiter. Tonino Guerra selber schreibt: „Dass der Krieg vorbei war, bemerkte ich daran, dass ich einen Schmetterling sah und nicht mehr den Wunsch hatte, ihn zu essen.“
Diese Metapher fräst sich ins Bewusstsein. Ich habe diesen Satz vor cirka dreißig Jahren gehört, und nicht mehr vergessen. Ähnlich ergeht es mir mit Szenen und Sentenzen aus Black.Light. Da ist zum Beispiel ein unvergesslicher Satz von Wolf Böwigs schreibendem Begleiter Pedro Mendes, ein Satz über den tieferen Sinn dessen, was diese beiden fremden, weißen, unbewaffneten Beobachter da eigentlich jahrelang treiben im Chaos der westafrikanischen Bürgerkriege: „Wir suchen nach blühenden Blumen mitten im brennenden Wald.“
Diese Suche ist sehr gefährlich. Man riskiert Leib und Leben, auch wenn man das Glück haben sollte, nie von einer Kugel getroffen zu werden oder nie auf eine Mine zu treten. Ein Krieg ist der Größte Anzunehmende Unfall einer Gesellschaft, die Kernschmelze jeglicher Zivilisation. Ein solches Geschehnis strahlt verhängnisvoll auf seine Betrachter ab. Die grellen Schreckensszenen auf der Netzhaut hinterlassen schier ewig wirkende Nachbilder in der Seele. Pedro Mendes hat seine Arbeit vor einigen Jahren aufgegeben; viele Freunde und Kollegen von Wolf Böwig leben entweder nicht mehr, oder sie leben verkrüppelt, oder sie haben kapituliert – wie zum Beispiel der wohl bekannteste Bildreporter überhaupt, Sebastiao Salagado. Wim Wenders hat ihm kürzlich die Kino-Doku „Das Salz der Erde“ gewidmet. Darin sieht man, wie Salgado nach Jahren der Kriegs- und Krisen-Fotografie nur überlebt, weil er radikal umsteuert: Er macht heute nur noch ultraschöne Bilder von superschönen Landschaften, erhaben und menschenleer.

Soweit ist Wolf Böwig noch lange nicht. Er macht weiter, auf dem Balkan, in Afrika, in Afghanistan, nächstes Jahr will er nach Pakistan, Indien und Bangladesh. Woher er die Kraft nimmt – ich weiß es nicht. Ich kenne Wolf Böwig seit vielen Jahren, aber was heißt da schon kennen; wir sehen uns ab und zu, diskutieren intensiv über die Arbeit, zeigen uns gegenseitig Bilder unserer Kinder, haben auch schon mal gemeinsame Fotoreisen geplant (woraus nichts wurde, unter anderem weil ich nicht die Traute habe, in eine akute Konfliktzone zu gehen). Ich bewundere Wolfs Ausdauer, auch weil ich vermute, dass metaphysischer Trost für ihn nur in Maßen verfügbar ist. Dazu spielen Religionen – und zwar alle – an den Schauplätzen seiner Reportagen eine viel zu unheilvolle Rolle. Das wildeste Beispiel ist der verurteilte Völkermörder Charles Taylor, ein gottesfürchtiger Baptist, der mitten im Gemetzel, im Jahr 2002, na wen wohl zum eigentlichen und höchsten Präsidenten seines blutgetränkten Landes proklamierte – Sie kommen nicht drauf: Jesus Christus!
Dass muslimische Gotteskrieger allerorten den vermeintlichen Willen ihres Allerhöchsten exekutieren, ist Allgemeingut; aber Wolf Böwig erspart uns auch nicht die Tatsache, dass sogar der notorisch friedliebende Buddhismus zu ethnischen Säuberungen großen Stils im Stande ist – zu sehen in seiner Reportage über die in Myanmar terrorisierte Minderheit der Rohingya.

Martin Roth, der höchst erfolgreiche Chef des Londoner „Victoria and Albert Museum“, der demnächst von diesem Posten zurücktreten wird, war kürzlich in Ruanda. Nach seiner Rückkehr hat er dem „Spiegel“ ein sehr emotionales Interview gegeben und gesagt:
„Die deutsche Kulturpolitik diskutiert, wie man möglichst risikoarm das Berliner Stadtschloss bespielt, während draußen die Welt brennt. Wir werden mit Ausstellungen die Welt nicht verbessern.“ —
Werter Martin Roth, ich wäre mir da nicht so sicher. Die Welt brennt so oder so, wir werden sie nicht löschen, jedenfalls nicht überall und nicht für alle Zeit. Aber sollen wir deswegen etwa Projekte wie Black.Light drangeben? Das würde die Welt ganz sicher nicht besser machen. Ich plädiere fürs Gegenteil:
Wir sollten sie ausstellen, und wir sollten sie auszeichnen!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

 

Danksagung

von Wolf Böwig

„…warum tun Sie, was Sie tun“ werde ich immer wieder gefragt:

Vielleicht, weil ich Imanuel Kants „sapere aude“  „Habe Mut, deinen eigenen Verstand zu gebrauchen“

verinnerlicht habe

Vielleicht tue ich, was ich tue, weil ich das Leningrader Hungertagebuch der elfjährigen Tanja Sawitschewa gelesen habe

Es lautet in voller Länge:

„Schenja starb am 28. Dezember um 12.00 vormittags 1941

Großmutter starb am 25. Januar, 3 Uhr nachmittags 1942

Ljoka starb am 17. März um 5 Uhr vormittags 1942

Onkel Wasja starb am 13. April um 2 Uhr nach Mitternacht 1942

Onkel Ljoscha am 10. Mai um 4 Uhr nachmittags 1942

Mutter am 13. Mai um 7.30 vormittags 1942

Die Sawitschews sind tot.

Alle sind tot.

Nur Tanja ist übrig“

Tanja Sawitschewa starb 1944

Und sicher tue ich, was ich tue, weil ich in Liebe erzogen wurde

Und sicher tue ich, was ich tue, weil ich meine Söhne liebe

Und, weil ich Morie kennengelernt habe. Mehr als 1000 Menschen, das ganze Dorf, wurden 1999 an einem Tag abgeschlachtet.
Ihn hat man am Leben gelassen.
Aus Grausamkeit.
Damit er davon berichten kann.

Sechs Jahre war er da alt – und ist doch ein Leben älter als wir: er, der einzige Überlebende eines Massakers in Sierra Leone

Ich tue, was ich tue, weil 1991 in Ostslawonien erst eine Stadt und dann ihre Menschen erschossen wurden

Und ich tue, was ich tue, weil in diesem Jahr 47 Kolleginnen und Kollegen ermordet wurden

Das schlimmste am massenhaften Tod ist nicht die tiefe Trauer der Überlebenden, sondern deren wachsende Unfähigkeit, mit ihrer Trauer all dem Grauen standzuhalten

Ich bin kein Feuilletonschreiber, kein Philosoph, kein Sinnsucher, sondern Berichterstatter, aber nichts sagt mir heute so viel über den Krieg, wie ein Gedicht von Andreas Gryphius

„Tränen des Vaterlandes“ anno 1636.

Da heisst es in der letzten Strophe des Sonetts nach der Schilderung der Kriegsgreul mit geschändeten Jungfrauen und einem von Leichen verstopften Fluss:

„doch schweige ich noch von dem, was arger als der Tod,
was grimmer ist denn die Pest und Glut und Hungersnot:
das auch der Seelenschatz so vielen abgezwungen.“

Gryphius schweigt vom Schlimmsten, wir aber müssen davon sprechen lernen

„Es muß eine Lehre aus alldem geben. Die hilft denen, die als Nächste dran sein könnten. Sie leben schon“

„sapere aude“  „Habe Mut, deinen eigenen Verstand zu gebrauchen“: denn Mut ist nichts anderes, als der Umgang mit unserer eigenen Angst

Danke.

« previous page

background