first draft for “troubled shores”

https://www.feinkunst.org/de/kunstpreis

thilo: 19.8.

Unabhängig von Deiner Ausstellung und all den technischen Fragen, müssen wir ja auch eine Reise mit Anfang und Ende machen. Das betrifft zwar in erster Linie meinen Teil – was auch immer ich daraus machen muß: einen Film oder ein Buch oder beides – betrifft aber auch das ganze künstlerisches Projekt.

Vielleicht muß man diese Reise am Staudamm in Äthiopien beginnen, an diesem gigantischen Bauwerk. Da steht man dann also und staunt und sieht, wie sich Afrika gewissermaßen seinen Fluß zurückholt. Schon wieder wird mit Krieg gedroht, denn die Kontrolle über das Wasser verleiht demjenigen, der sie hat, eine sprichwörtlich unheimliche Macht. Schließlich hängt nahezu das gesamte Leben entlang seiner Ufer davon ab: Khartum und natürlich besonders Kairo. Vielleicht beginnen wir mit dem Staudamm, reisen dann nach Kairo, in diese Megacity. Anfang und Ende (zumindest des Blauen Nils).
Da beginnt dann die Reise in die Vergangenheit. Die kann uns von dort nach Abu Simbel führen, wo sich das berühmte Relief mit der Schlacht von Kadesch befindet. Das ist ja sozusagen die Urschlacht um die Kontrolle (zwar nicht direkt über den Fluss, aber über den Machtbereich).

habbo: 18.8.

eine meiner Fragen ist auch: wo beginnen? Wegen der Konflikte um Burundi und Ruanda, ua Genozid 1993, würde ich sagen: bei den Quellflüssen, ja auch, wenn ich recht sehe, untrennbar mit dem Kolonialismus & deren Entdeckung verbunden.

Zweite Frage: Kennst Du ein Buch „Der Nil“ a la Rhein, Donau usw., die es bereits gibt? Habe auf die Schnelle nichts gefunden. (Wenn nicht: TT könnte das aus dem Projekt machen!?)

Ja, drittens, verbindender Gedanke, aber es muss ein „Kunstgedanke“ sein! Das meinte ich mit den paar Sätzen zum Konzept und/oder Stichworten.

„Verwirbelungen“ als Bild? Ja, aber zumindest nach meinem Bild ist der Nil doch weitenteils sehr träge? Außerdem ist „verwirbeln“ wie Schicksal, Verstrickung uä – nicht von Menschen verantwortet, zudem sehr mythisch/raunend, weiß aber nicht, ob die locals das Mythische in den Wirbeln entdecken?

Vielleicht führt Wasser als Ressource weiter, also mit Themen wie Lebensgrundlage, religiöse Aufladung, Erschließungen, Nachhaltigkeit, Konflikte um Zugang/Zuteilung, Steuerung von Lebensrhythmen – da könnte man vielleicht ansetzen: Fernand Braudel unterscheidet drei Zeiten, hier aus Wikipedia:

„Die unterste Schicht wird gebildet von einer langsam fließenden Geschichte, in der Veränderungen kaum wahrnehmbar sind, einer histoire quasi immobile, die Braudel auch géohistoire nennt. Diese Zeit ist die der Naturerscheinungen, in der alle Bewegungen in einem Kreislauf an ihren Ausgangspunkt zurückkehren. Es ist dies die Geschichte der Täler und Gebirge, der Inseln und Küsten, des Klimas, der Land- und Seewege.

Die darüberliegende Schicht ist jene, die später besonders mit dem Begriff der longue duréeverbunden wurde. Es ist die Zeit der in langsamen Rhythmen verlaufenden Geschichte, der größeren sozialen, kulturellen, ökonomischen und politischen Strukturen, die einen Zeitraum von ein, zwei Jahrhunderten umfassen können.

Ganz an der Oberfläche befindet sich letztlich die Geschichte der Ereignisse, die histoire événementielle. Geschichte lässt sich nach Braudel nicht verstehen, wenn nur diese letzte Ebene betrachtet wird, vielmehr erscheinen die menschlichen Ereignisse wie bloße Wellen auf der Oberfläche des Stroms der Geschichte, ohne deren tieferen Grund zu berühren.“

Ist natürlich ein dann doch konventionelles Bild von Geschichte (Fluß, Fortschritt, eine Geschichte) und im letzten Punkt dann auch „strukturkonservativ“.

Aber man könnte überlegen, ob und wie sich das adaptieren ließe. Wo/Wie fügen sich Konflikte hier ein? Werden sie nicht selbst zum Teil der „langen Dauer“ und mehr, der Geohistorie? Also zu bedingenden und nicht nur bedingten Aspekten? Dann würde das Bild des laufenden Wasserbandes nicht „den Nil“, wohl aber das langsame Einschreiben solcher Konflikte illustrieren? Der Nil ist ein Vexierbild, wird aber nicht durch den Wasserlauf im Kunstwerk „abgebildet“, sondern das stete Laufen VON Wasser durch den Nil wird zu den „heißen“ Konflikten und ihrer Dauer in Beziehung gesetzt, vielleicht auch „kausal“, s. Wasser als Ressource?

Ergänzung: Die mythische Bedeutung in der britischen Populärkultur ist nicht zu vergessen; ja viel wichtiger als bei uns.

thilo: 18.8.

ich versuche immer noch alles zu ordnen. Wir benötigen irgendeine Klammer, irgendeinen größeren Gedanken.

Man bekommt ja schon eine Gänsehaut, wenn man nur aus dem Gedächtnis aufzählt, wer sich um diesen Fluss und die Reiche, die an seinen Ufern entstanden sind, in der Geschichte gebalgt hat:

– Ramses II. in der Schlacht gegen die Hethiter (im heutigen Syrien nahe der libanesische Grenze)
– die schwarzen Pharaonen aus Nubien (Sudan)
– Caesar und Kleopatra
– Alexander der Große
– Napoleon
– Mehmed Ali gegen die Briten und Mamluken
– Gordon Pascha und Lord Kitchener gegen den Mahdi, die Schlacht um Omdurman (Khartum)
– die Suche nach der Quelle des Nil durch Burton, Speke, Bruce, Henry Morton Stanley im 19. Jahrhundert
– Lawrence von Arabien
– Rommel und Montgomery (el Alamein)

Vermutlich hat kein Fluss der Welt unsere Kultur und auch Pop-Kultur so geprägt wie der Nil, der als Rinnsal irgendwo in Burundi beginnt. Sollen wir da unten in Burundi beginnen und uns hocharbeiten? Sollen wir in Kadesch beginnen und vielleicht auch enden – als Klammer, weil die Gegend sowohl damals wie heute im Zentrum eines weltpolitisch wichtigen Machtkampfes steht? Die Erkenntnis, daß Wasser Leben bedeutet, wirkt ein bißchen banal im Angesicht dieser gigantischen Ereignisse. Aber einen besonders philosophischen Gedanken dazu habe ich auch noch nicht.

 

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