diaries

 

Carolin Emcke
Ausstellungseröffnung „Nah ist das Land, das sie das Leben nennen
7. November 2018
Galerie–Peter–Sillem, Frankfurt

Wolf Böwig arbeitet mit Photographie, mit Schrift, er lässt einzelne Aufnahmen für sich wirken, er gestaltet Collagen, es sind unterschiedliche Materialien und Techniken, die ein ganzes überbordendes Panoptikum bilden. Aber auch jedes einzelne Bild zeugt von dieser Lust auf komplexes Erzählen.

Warum das so besonders ist?

Nun, weil das nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine moralische Entscheidung ist. Wer so viel in Landschaften der Gewalt unterwegs gewesen ist wie Wolf Böwig, wer so viel Alptraumhaftes erlebt und gesehen hat, wer wieder und wieder an den unterschiedlichsten Orten der Welt, auf allen Kontinenten, Zeuge wurde wie Menschen einander abschlachten, vergewaltigen, foltern und zerstückeln, wer all die verschiedenen Geschichten gehört hat, mit denen die Ausgrenzung und Eingrenzung von Menschen mit vorgeblichen Gründen versehen wird, der könnte leicht Krieg und Gewalt einfach für eine anthropologische Konstante halten. Etwas Naturwüchsiges, etwas Kontinuierliches, was es immer schon gab, immer geben wird, im Kern immer gleich, nichts Ungewöhnliches mehr.

Für Wolf Böwig – und davon erzählen uns seine Photos und seine Collagen – ist das Leid immer etwas Besonderes, immer etwas Aussergewöhnliches, ganz gleich wie häufig und alltäglich es sein mag, es ist immer spezifisch in einer bestimmten Wüste, einer bestimmten Stadt, für ihn ist die Gewalt nichts Einheitliches, Überschaubares, sondern sie ist verwirrend, disruptiv, vielgesichtig – und so sind eben auch diese Bilder von Wolf Böwig Ausdruck eines widerständigen Humanismus, der sich nicht gewöhnen will, der nicht vereinfachen, verschlichten, normalisieren will, was nicht normal sein darf.

 

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